Maja Haderlap
1961 in Bad Eisenkappel/Železna Kapla, Kärnten
gedächtnis, vergissmeinnicht, monument
was der aufgerissene acker, vor dem
ich stehe, alles verrät. die herbstsonne
bewirft schon die wolken mit prunkvollen
farben. auch bei geschlossenen lidern
lodert ihr flammendes kolorit. in der
nähe der höfe, die ich umkreise,
suche ich nach worten, die abgelegt
worden sind wie ausrangierte geräte,
lese ich sie auf, wie man dürre zweige
von den waldsteigen aufhebt und sie
am wegrand häuft. aus den tälern
wachsen die bergrücken zu höheren
gipfeln heran. in meiner stimme
kristallisiert die erste sprache und
memoriert die chiffren der erinnerung:
spomin, spominčica, spomenik.
gedächtnis, vergissmeinnicht, monument.
Maja Haderlap, langer transit. Gedichte, © Wallstein Verlag, Göttingen 2016, Seite 75
Mit ihrem preisgekrönten Roman »Engel des Vergessens« erhielt Maja Haderlap 2011 bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt den Ingeborg-Bachmann-Preis. Darin erzählt sie von den Wunden der slowenischen Minderheit in Kärnten. Die studierte Germanistin und Theaterwissenschaftlerin lehrte nach ihrer Promotion an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt und arbeitete von 1992 bis 2007 als Chefdramaturgin am Stadttheater Klagenfurt. Haderlap verfasst Lyrik, Prosa und Essays in slowenischer und deutscher Sprache. Ihre Rede »Im langen Atem der Geschichte« beim Staatsakt anlässlich der 100. Wiederkehr des Jahrestages der Gründung der Republik Österreich im Jahre 2018 fand große internationale Beachtung.